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Systemtheorie

Systemtheorie ist ein interdisziplinäres Erkenntnismodell, in dem Systeme zur Beschreibung und Erklärung unterschiedlich komplexer Phänomene herangezogen werden. Die Analyse von Strukturen und Funktionen soll häufig Vorhersagen über das Systemverhalten erlauben.

Die Begriffe der Systemtheorie werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angewendet, so der Informatik, Physik, Ingenieurwissenschaften, Pädagogik, Chemie, Biologie, Geographie, Logik, Mathematik, Physiologie, Soziologie, Politologie, Psychologie, Ethnologie, Semiotik, Literaturwissenschaft und Philosophie. Die Systemtheorie ist somit bisher keine eigenständige Disziplin, sondern ein weitverzweigter und heterogener Rahmen für einen interdisziplinären Diskurs, der den Begriff System als Grundkonzept führt. Es gibt folglich auch nicht eine “Systemtheorie”, sondern eher eine Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher und konkurrierender Systemdefinitionen und -begriffe. Es hat sich heute jedoch eine relativ stabile Reihe an Begriffen und Theoremen herausgebildet, auf die der systemtheoretische Diskurs rekurriert.

Grundlagen

Die Systemtheorie (Ingenieurwissenschaften) wurde in den 1920er Jahren konzipiert. Der Begriff Allgemeine Systemtheorie geht auf den Biologen Ludwig von Bertalanffy zurück. Seine Arbeiten bilden zusammen mit der Kybernetik (Norbert Wiener, William Ross Ashby) und der Informationstheorie (Claude Shannon, Warren Weaver) die grundlegenden Überlegungen dieses Wissenschaftsansatzes. Weitere wichtige Theorien stammen von Humberto Maturana und Francisco Varela (Autopoiesis), Stuart Kauffman (Selbstorganisation), Bronisław Malinowski und Alfred Radcliffe-Brown (Funktionalismus) sowie Alcott Parsons (Strukturfunktionalismus oder Systemfunktionalismus) und Niklas Luhmann (soziologische Systemtheorie).

Hauptströmungen der Systemtheorie

Kulturgeschichtlich geht der Systembegriff bis auf Johann Heinrich Lambert zurück und wurde unter anderem von Herder übernommen und ausgearbeitet. Dies vollzieht sich vor allem an der Frage, wie man lebende Organismen und deren Selbsterhaltung und -organisation verstehen kann. Hieran entwickelt sich ein Vokabular, das „interne Gleichgewichte“ kennt, „Ausgleichsbewegungen“ und „Kraft“ als die Möglichkeit über sich hinauszugreifen, womit es dem System eine innere Dynamik gibt, eine Aktivität, die das System nicht darauf beschränkt passiv Impulse von außen zu empfangen. Der biologische Organismus wird als ein System aufgefasst, in dem keines der Teile die alleinige Herrschaft über andere hat, sondern sie in steter Wechselwirkung zueinander aufgefasst werden müssen. Wenngleich diese Überlegungen noch frei von dem Wunsch sind, eine Systemtheorie zu entwickeln, bilden sie den Nährboden für spätere Ansätze.

Systemtheorie

Die moderne Systemtheorie beruht auf unabhängig voneinander entwickelten Ansätzen, die später synthetisiert und erweitert wurden: Der Begriff Systemtheorie bzw. Systemlehre stammt von Ludwig von Bertalanffy (vgl. “General Systems Theory”). Bertalanffy spricht von offenen Systemen und entwickelt den Begriff der organisierten Komplexität, der den dynamischen Austausch mit der Umwelt beschreiben soll. Erst mit der Ausformulierung des Informationsbegriffes ließ sich dieses Konzept jedoch weiter generalisieren. Bereits 1948 hatte Norbert Wiener mit “Cybernetics” (Kybernetik) einen ebenfalls zentralen Ausdruck geprägt, der heute mit dem Systembegriff eng verbunden ist. Ein weiteres verwandtes Konzept ist die Tektologie Alexander Bogdanows.

Systemlehre (Ludwig von Bertalanffy)

Ludwig von Bertalanffy führte ein neues wissenschaftliches Paradigma ein, das er als Gegenentwurf zur klassischen Physik positionierte. Er kritisierte deren deduktive Verfahren und die damit einhergehende isolierte Betrachtung von Einzelphänomenen. Für die Biologie]] sei diese Methode nicht adäquat. Anstelle von Einzelphänomenen, die in der Realität niemals isoliert aufträten, seien diese Phänomene in ihrer Vernetzung zu beschreiben. Daher setzte er der isolierten Einzelbetrachtung den Systembegriff entgegen, wobei dieser Begriff eine Menge von Elementen und deren Relation untereinander beschreiben soll. Als ein solches Modell betrachtete er die “organisierte Komplexität”. Während die klassische Wissenschaft “unorganisierte Komplexität” erfolgreich beschrieben habe, stehe die theoretische Erfassung organisierter Komplexität vor neuen Herausforderungen. Organisierte Komplexität sei gegeben, wenn Einzelphänomene nicht schlicht linear logisch miteinander gekoppelt seien, sondern Wechselwirkungen unter ihnen bestünden. Sei dies der Fall, könne eine exakte Beschreibung der reziproken Vernetzungsbedingungen ein Bild von der Einheit der Summe jener Einzelphänomene vermitteln. Die Systemlehre untersucht somit die Organisationsformen komplexer Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Elementen jenseits linear darstellbarer Relationen und einfacher Kausalität. Dabei unterschied Bertalanffy zwischen offenen und geschlossenen Systemen. Ein geschlossenes System wird als binnenstabil und über keine Wechselwirkungen mit der Umwelt verfügend beschrieben. In einem solchen System gibt es strenggenommen keine organisierte Komplexität, da sich die Elemente im Gleichgewichtszustand in mathematisch eindeutiger Weise zueinander verhalten. Ein offenes System dagegen verfügt über variablisierte Relationen seiner Elemente, die durch nichtprognostizierbare Umwelteinflüsse verändert werden. Die interne Variabilität ermöglicht es dem System, sich in einem dynamischen Umfeld relativ zu stabilisieren (Fließgleichgewicht). Offene Systeme entfalten also im Austausch mit ihrer Umwelt eine Dynamik und variieren ihre Zuständlichkeit ohne dabei ihre Systemstrukturen vollständig ändern zu müssen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht kausal von außen beeinflusst werden, sondern ihre interne Organisation bei Umweltveränderungen ”selbst” umstellen (“Black Box”-Theorem). Dies wird als Selbstorganisation bezeichnet und kann als Paradigma organisierter Komplexität gelten.

Gegen das “Newtonsche Weltbild” setzte Bertalanffy also seinen Gedanken einer allgemeinen, interdisziplinären Systemlehre. Auch in Wissenschaftsgebieten, die sich nicht in den Rahmen physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten einordneten – etwa der Biologie oder der Soziologie -, träten dennoch exakte Gesetzmäßigkeiten auf, die durch passend gewählte Modellvorstellungen abgebildet werden könnten.

Die Systemlehre wurde als allgemeine Naturwissenschaft des Lebens konzipiert. In der Systemlehre werden energetisch offene Systeme beschrieben. L. von Bertalanffy argumentierte vor dem Hintergrund der physikalischen Auffassung der Thermodynamik (Wärmetod). Offene Systeme können Energie aus ihrer Umwelt aufnehmen und sich so zu höherer Ordnung entwickeln, also die globale thermodynamische Entropie lokal umgehen. Die Systeme der Systemlehre sind Lebewesen, der wesentliche Prozess ist die Osmose, die in einem Fließgleichgewicht (steady state) verläuft.

Die Informations- und Regelungsprozesse wurden von L. von Bertalanffy mathematisch formuliert.

Kybernetik

Die Kybernetik behandelt operationell geschlossene Mechanismen. Sie wurde als Regelungs- und Kommunikationstheorie konzipiert. Der Fokus der Kybernetik liegt auf Regelung und Steuerung. Deshalb kommen in der Kybernetik als Systeme in erster Linie geregelte Mechanismen in Betracht. Die Regelung beruht immer auf Prozessen, die mit der mathematischen Systemtheorie der Technik beschrieben werden.

L. von Bertalanffy hat sich gegen die Vermischung seiner Systemlehre und der Kybernetik ausgesprochen, weil er das mechanistische Denken der Kybernetik für die Beschreibung von Leben nicht als adäquat erachtete. Heute wird der Ausdruck “Systemtheorie” aber beliebig für beides auf drittes verwendet.

Generelle Erweiterungen der Kybernetik

Als Systemtheorie 2. Ordnung bezeichnet man Systemtheorien, die in folgendem Sinne selbstbezüglich sind: Mit der jeweiligen Systemtheorie wird der Systemtheoretiker, der die Theorie macht, beschrieben. Der Kernbegriff ist deshalb **die Beobachtung des Beobachters**.

Heinz von Foerster hat den Begriff der 2. Ordnung eingeführt, er sprach von “2. order cybernetics” oder von “cybernetics of cybernetics”. Die Systemtheorie 2. Ordnung ist eine erkenntnistheoretische Interpretation der Systemtheorie, in welcher untersucht wird, was der Systemtheoretiker als System theoretisch wissen kann. Systeme 2. Ordnung werden auch vom Radikalen Konstruktivismus (RK) benutzt.

Als Autopoiesis bezeichnet Humberto Maturana sowohl seine Systemtheorie wie auch den wesentlichen Prozess, den er mit seiner Theorie beschreibt, nämlich das Leben. Maturana beschreibt, grob gesehen, das gleiche wie von Bertalanffy in seiner Systemlehre, er argumentiert aber kybernetisch: er spricht von lebenden (autopoietischen) Maschinen, die operationell geschlossen sind.

Als Selbstorganisation bezeichnet man Prozesse, die wie die Autopoiese zu höheren strukturellen Ordnungen führen, ohne dass ein steuerndes Element erkennbar ist.

Der Radikale Konstruktivismus wurde von Ernst von Glasersfeld entwickelt. Er hat dabei auf die Arbeiten von Jean Piaget zurückgegriffen. Die Denkweise von Piaget war [konstruktivistisch und epistemologisch. Ernst von Glasersfeld argumentiert insbesondere auch mit der operationellen Geschlossenheit von Systemen.

Als System Dynamics bezeichnet man die Modellierung mit Regelkreisen. Bekannt gemacht hat das Verfahren Jay W. Forrester durch das Weltmodell “World3”, anhand dessen in der Club of Rome-Publikation “Limits to Growth” (Die Grenzen des Wachstums, Dennis L. Meadows 1972) der globale Rohstoffverbrauch prognostiziert wurde.

Fachspezifische Erweiterungen der Kybernetik

Soziologische Systemtheorie

Als wichtigste Vertreter der Soziologischen Systemtheorie gelten Talcott Parsons (handlungstheoretische Systemtheorie) und Niklas Luhmann (kommunikationstheoretische Systemtheorie).

Systemtheorie bei Parsons: Der soziologische Systembegriff geht auf Talcott Parsons zurück. Parsons betrachtet dabei Handlungen als konstitutive Elemente sozialer Systeme. Er prägte den Begriff der strukturell-funktionalen Systemtheorie.

Erweiterung und Neuformulierung durch Luhmann: Luhmann unterscheidet drei besondere Typen sozialer Systeme: Interaktionssysteme, Organisationssysteme und Gesellschaftssysteme. Die Gesellschaft ist dabei ein System höherer Ordnung, ein System “anderen Typs”. Sie umfasst die anderen Systeme, ohne dass sie in ihr aufgehen.

Luhmann bezeichnet sein Systemmodell als “operatives Systemmodell”, d.h. ein System wird als die Verkettung von kommunikativen Operationen betrachtet. Luhmanns Systemmodell ist daher eher zeitlich als räumlich geprägt und findet keinen Anschluss an den spatial turn der Sozialwissenschaften. Demgegenüber entwickelt sich nach Luhmann ein alternatives Systemmodell, das von dem Bild eines räumlichen Netzes (lat. rete) ausgeht und als ‘retives Systemmodell’ bezeichnet wird (s. Latka 2003). Je nach zugrundeliegender Raumauffassung unterscheidet man zwischen einem ‘retiv-polyzentrischen’ und ‘retiv-topischen’ Systemmodell.

Theorie komplexer Systeme

Die neueste Strömung ist die Theorie komplexer Systeme (Vertreter u.A. Stuart Kauffman. Ein komplexes System ist dabei ein System dessen Eigenschaften sich nicht vollständig aus den Eigenschaften der Komponenten des Systems erklären lassen. Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl von miteinander verbundenen und interagierenden Teilen, Entitäten oder Agenten.

Komplexe Adaptive Systeme

Die Theorie der Komplexen adaptiven Systeme beruht vorwiegend auf den Arbeiten des Santa Fe Institute. Komplexe adaptive Systeme (John H. Holland, Murray Gell-Mann, Harold Morowitz, W. Brian Arthur) Diese neue Komplexitätstheorie, die Emergenz, Anpassung, und Selbstorganisation beschreibt, basiert auf Agenten und Computersimulationen, die Multiagentensysteme (MAS) einschließen, die zu einem wichtigen Instrument bei der Erforschung von sozialen und komplexen Systemen wurden.

Chaostheorie

Die Chaostheorie beschäftigt sich mit bestimmten nichtlinearen dynamischen Systemen, die eine Reihe von Phänomenen aufweisen, die man Chaos nennt. Eines dieser Phänomene ist der Schmetterlingseffekt, der besagt, dass kleine Änderungen unerwartet große Effekte haben können. Benannt wurde der Effekt von Edward N. Lorenz. Weitere Vertreter sind Benoit Mandelbrot und Henri Poincaré. Chaotische Systeme seien ihrer Meinung nach zum Beispiel Wetter, Klima, Plattentektonik, Turbulenz, Wirtschaftskreisläufe, Internet und das Bevölkerungswachstum.

Weitere Beispiele

Universalitätsanspruch

Ein Charakteristikum dieser theoretischen Ansätze ist der Anspruch, eine formale Theorie zu erarbeiten, die möglichst umfassend anwendbar ist. Dieser Anspruch geht vor allem aus Bertalanffys Werk “Allgemeine Systemtheorie” hervor: “Wenn wir. . den Begriff des Systems entsprechend definieren, so finden wir, daß es Modelle, Prinzipien und Gesetze gibt, die für verallgemeinerte Systeme zutreffen, unabhängig von der Natur dieser Systeme.” Auch heute ist es diese Ausrichtung, die systemtheoretische Ansätze attraktiv erscheinen lässt, auch wenn das Ziel bislang unerreicht ist. So verbindet etwa das Santa Fe Institute mit seiner “Theorie komplexer adaptiver Systeme” einen universellen Erklärungsanspruch.

Die “Theorie Sozialer Systeme” Niklas Luhmanns teilt diese Ausrichtung nicht unmittelbar, weil sie sich auf stabile soziale Systeme beschränkt und vor allem die Mechanismen ihrer Selbstreproduktion untersucht.

Begriffe der Systemtheorie

Der zentrale Grundbegriff der Systemtheorie ist das System (nach gr. ”to systeme” = Zusammenstellung). Die Annahme, es gäbe Systeme, kann quasi als Grundaxiom dieses Ansatzes betrachtet werden.

Ein System ist etwa wie folgt definiert:

  • Ein System ist begrenzt und abgrenzbar (System/Umwelt-Differenz). Es besteht aus einer Systemgrenze (“Boundary”), einem Systemkern, Systemelementen, dem Zusammenwirken dieser Elemente sowie aus Energie oder Signalen. Wird etwas über die Systemgrenzen hinweg transportiert ist dieses System ein offenes, sonst ein geschlossenes System. Alles außerhalb der Systemgrenze Liegende ist nicht Teil des Systems, sondern dessen Umwelt.
  • Ein System ist eine Menge von Elementen, die in einem abgegrenzten oder abgrenzbaren Bereich so zusammenwirken, dass dabei ein vollständiges, sinnvolles, zweck- und zielgerichtetes Zusammenwirken in einem funktionellen Sinne erzielbar wird.
  • Aufbau und Funktionsweise eines Systems hängen von dem Standpunkt des Betrachters ab.

Literatur

Weblinks

Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Systemtheorie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

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