Die Themenzentrierte Interaktion (TZI) ist ein professionelles Konzept, das von der Psychoanalytikerin und Psychologin Ruth Cohn, von den Therapeuten Norman Liberman, Yitzchak Zieman und von weiteren Vertreterinnen der Humanistischen Psychologie seit Mitte der 1950er Jahre in den USA, später in Europa und Indien entwickelt wurde und weiterentwickelt wird. Die TZI entstand mit dem theoretischen Hintergrund der Psychoanalyse, der Gruppentherapien, sowie der Humanistischen Psychologie, und berücksichtigt Erfahrungen aus der Gestalttherapie und der Gruppendynamik. Das ursprüngliche Anliegen Ruth Cohns war, ein Konzept zu entwickeln, das »dem ursprünglich gesunden Menschen ein Leben ermöglicht, in dem er gesund bleiben kann«. Gesundheit bezieht sich hier nicht bloss auf das individuelle Wohlbefinden, sondern auch auf die politische Verantwortlichkeit in der Welt.
Konzept der Themenzentrierte Interaktion
Das Konzept der Themenzentrierte Interaktion entwickelt sich auf der Basis dreier Axiome, welche in dialektischer Form Problemstellungen umreissen.
- “Der Mensch ist eine psycho-biologische Einheit. Er ist auch Teil des Universums. Er ist darum autonom und interdependent. Autonomie (Eigenständigkeit) wächst mit dem Bewusstsein der Interdependenz (Allverbundenheit).” Die dialektische Figur dabei ist: Der Mensch ist autonom (These) wie auch wechselseitig von andern abhängig (Antithese). Je bewusster sich der Einzelne seiner Interdependenzen wird, desto entwickelter ist seine Autonomie. Diese Sichtweise wird heute vor allem in der Systemische Therapie vertreten.
- “Ehrfurcht gebührt allem Lebendigem und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen. Das Humane ist wertvoll, Inhumanes ist wertbedrohend.” Hier ist der dialektische Dreisatz etwas versteckter. Allem Lebendigen (Antithese) gebührt Ehrfurcht (These), die Ehrfurcht macht aber bewertende Entscheide auch wider Lebendiges notwendig (Synthese).
- “Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äusserer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich.” Im dritten Axiom stellt sich als Problem, dass Menschen frei entscheiden können (These), diese Entscheidung aber durch die äussere (und innere) Realität eingeschränkt ist (Antithese). Als Synthese setzt das dritte Axiom, die Erweiterung der Grenzen sei möglich.
Die Axiome führen zu den Postulaten:
- Sei deine eigene Chairperson, die Chairperson deiner selbst! Darin steckt die Aufforderung, sich selbst, andere und die Umwelt in den Möglichkeiten und Grenzen wahrzunehmen und jede Situation als ein Angebot für die eigene Entscheidung anzunehmen.
- Störungen haben Vorrang! (im Sinne von “nehmen sich Vorrang”) Das Postulat, dass Störungen und leidenschaftliche Gefühle den Vorrang haben, bedeutet, dass wir die Wirklichkeit des Menschen anerkennen; und diese enthält die Tatsache, dass unsere lebendigen, gefühlsbewegten Körper und Seelen Träger unserer Gedanken und Handlungen sind.”
- Günter Hoppe schlug 1994 als drittes Postulat vor: “Setze Dich mit Deiner äusseren Welt, Deinem Globe um Dich herum und seinem Abbild in Dir auseinander. Greife ein und verändere, was Du im Sinne der Humanisierung verändern kannst!”. Cohn lehnte dieses Postulat ab, da es nicht allgemeingültig sei und formulierte ihrerseits als drittes Postulat: “Verantworte dein Tun und Lassen – persönlich und gesellschaftlich!”
Die Postulate sind nicht als Regeln zu verstehen, sondern als Beschreibungen. Will heißen: Störungen nehmen sich de facto Vorrang – ob wir den ihnen einräumen oder nicht. (Liegt eine Tanne quer zur Straße, wird der Radfahrer ihr Vorrang lassen müssen, will er sich nicht verletzen. Ähnlich beim Chairperson-Postulat: Der Mensch hat de facto Verantwortung für die Teilmacht, die ihm gegeben ist. Er ist de facto für sein Tun und Lassen verantwortlich. Wenn die Postulate nun als Imperativ formuliert sind, ist darin eine Aufforderung zu sehen, sich auch so zu verhalten.
Vierfaktorenmodell der Themenzentrierte Interaktion
- ICH – die einzelnen Personen mit ihren Anliegen und Befindlichkeiten
- WIR – die Gruppe, das Miteinander der Personen (Interaktion)
- ES – die Aufgabe, das Ziel der Gruppe
- Globe – das organisatorische, physikalische, strukturelle, soziale, politische, ökologische, kulturelle engere und weitere Umfeld der Gruppe
Früher wurde das “ES” als “Thema” verstanden. In der aktuellen Themenzentrierte Interaktion-Literatur wird differenziert: Das Thema, an welchem eine Gruppe arbeitet, ist von allen vier Faktoren beeinflusst und nicht bloß vom “ES”. Darin besteht das Spezifische der Themenzentrierte Interaktion.
Hilfsregeln der Themenzentrierte Interaktion
Die Hilfsregeln können die Interaktion in einer Gruppe günstig beeinflussen. “Wichtig ist, dass Hilfsregeln taktvoll und nicht diktatorisch angewandt werden. Jede Regel kann ad absurdum geführt werden.”
- Vertritt dich selbst in deinen Aussagen; sprich per “Ich” und nicht per “Wir” oder per “Man”. Diese Formen lassen auf ein “Verstecken” hinter der Gruppe oder einer öffentlichen Meinung schließen. Hinzu kommt, dass es durch eine derartige Kommunikation leicht fällt, Hypothesen entgegen ihrer Natur als Tatsache darzustellen.
- Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview. “Echte Fragen verlangen Informationen, die nötig sind, um etwas zu verstehen oder Prozesse weiterzuführen. Authentische Informationsfragen werden durch die Gründe für die Informationswünsche persönlicher und klarer.”
- Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mache dir bewusst, was du denkst und fühlst, und wähle, was du sagst und tust.
- Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen deine persönlichen Reaktionen aus.
- Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen. Verallgemeinerungen unterbrechen den Gruppenprozess. Sie dienen dem Gesprächsverlauf nur, wenn sie einen Themenbereich zusammenfassend abschließen und zu einem neuen Thema überleiten.
- Wenn du etwas über das Benehmen oder die Charakteristik eines anderen Teilnehmers aussagst, sage auch, was es dir bedeutet, dass er so ist, wie er ist (d. h. wie du ihn siehst.)
- Seitengespräche haben Vorrang. Sie stören und sind meist wichtig. Sie würden nicht geschehen, wenn sie nicht wichtig wären. Auch wenn Seitengespräche vordergründig stören, sind sie aber meist wichtig für die tieferen Ebenen der Kommunikation. Sie können neue Anregungen bringen, Unklarheiten herausstellen, Missverständnisse verdeutlichen oder auf eine gestörte Interaktion (Beziehung) hinweisen.
- Nur einer zur gleichen Zeit bitte. Niemand kann mehr als einer Äußerung zur gleichen Zeit zuhören. Und einander Zuhören signalisiert das konzentrierte Interesse füreinander, das Gruppen zusammenhalten lässt.
- Wenn mehr als einer gleichzeitig sprechen will, verständigt euch in Stichworten, worüber ihr zu sprechen beabsichtigt. So werden alle Anliegen kurz beleuchtet, bevor die Gruppenaktion weitergeht.
- Beachte die Körpersignale! Beobachte eigene und fremde Körpersignale.
Anwendung
Die Themenzentrierte Interaktion findet in ganz unterschiedlichen Bereichen Anwendung: Im Management, in der Hochschule, in der psychologischen Beratung und Therapie, in der Supervision, in der Erziehung, Sozial- und Sonderpädagogik, in der Erwachsenenbildung, in der Seelsorge, in der Pflege, usw… ausdrückliches Ziel der Themenzentrierte Interaktion ist es, nicht nur der Leitung Werkzeuge in die Hand zu geben, sondern auch den Teilnehmern um sich in Gruppen selbst zu leiten (Chairperson-Postulat).
Literatur
- Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt (Hrsg.): Themenzentrierte Interaktion Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn. Klett-Cotta, Stuttgart 1993
- Barbara Langmaack: Themenzentrierte Interaktion. Einführende Texte rund ums Dreieck. 4. Auflage. Beltz Psychologie-Verlags-Union, Weinheim 2000
- Cornelia Löhmer, Rüdiger Standhardt: Themenzentrierte Interaktion- Die Kunst, sich selbst und eine Gruppe zu leiten. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion. Klett-Cotta, Stuttgart 2006
- Ruth C. Cohn: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. Klett-Cotta, Stuttgart 1975
- Helmut Quitmann: Humanistische Psychologie. Göttingen, Bern u.a. 1996 (3. überarb. u. erw. Auflage)
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