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Gestalttherapie

Die Gestalttherapie gehört zu den hermeneutisch-phänomenologisch ausgerichteten erlebnisaktivierenden Psychotherapieverfahren und ist eine wichtige Vertreterin der humanistischen Psychologie. Als Begründer dieser Psychotherapie-Methode gelten die psychoanalytisch ausgebildeten Fritz Perls und Laura Perls, sowie Paul Goodman, ein Vertreter des philosophischen Anarchismus. Die Gestalttherapie entwickelt sich zu weiten Teilen aus der Psychoanalyse und in Kritik an und in Abgrenzung zu ihr; unter Rückgriff u.a. auf die Gestaltpsychologie und die Therapieformen von Wilhelm Reich. Gestalttherapie versteht sich als ganzheitliche Therapie, also als eine Therapie, die von der Einheit von Körper, Geist und Seele ausgeht.

In der Schweiz und Österreich ist, im Gegensatz zu Deutschland, die Gestalttherapie anerkanntes und abrechenbares Verfahren. Die Anerkennung als abrechenbares Verfahren ist allerdings auch ein politischer Prozess, der nicht ausschließlich von der Qualität der Therapieform abhängig ist.

Theorie der Gestalttherapie

Der Gestaltbegriff und das Konzept der Kontaktstörung

Ein Grundbegriff des Konzeptes ist das der “unabgeschlossenen Gestalt”, was bedeutet, dass der Anpassungsprozess des Organismus/der Psyche an die Umwelt (und umgekehrt) als Kontaktprozess aufgrund möglicher Störungen nicht vollständig geschehen konnte. Ergebnis ist eine Kontaktstörung. Damit konnte sich eine “vollständige (oder ‘geschlossene’) Gestalt” im Sinne einer abgeschlossenen Anpassungsleistung nicht ausbilden.

Ursprünglich stammt der Begriff der “Gestalt” aus der Gestaltpsychologie, einer Psychologie der Wahrnehmung. Fritz und Laura Perls wenden ihn aber auf den ganzen Organismus an und orientieren sich dabei vornehmlich an der Gestalttheorie des Neurologen Kurt Goldstein und seiner ganzheitlichen Theorie des Organismus. Schöne Beispiele für Anpassungsleistungen und somit Schließen von Gestalten finden sich in den Veröffentlichungen von Oliver Sacks.

Perls hatte zunächst den Begriff “Existentialtherapie” als Bezeichnung für diese von ihm und seiner Frau Lore (später Laura) entwickelten neuen Psychotherapie im Sinn; da dieser Begriff aber zu sehr mit der Philosophie Sartres verknüpft war und damit mit dessen Freiheitsbegriff, verzichtete Perls darauf.

Das Konzept des Gewahrseins

Im Mittelpunkt der gestalttherapeutischen Methode steht die Entwicklung und Verfeinerung des Gewahrseins (Bewusstheit; der englische Begriff lautet “awareness”) aller gerade vorhandenen und zugänglichen Gefühle, Empfindungen und Verhaltensweisen des Klienten. Der Klient soll dadurch in die Lage versetzt werden, seine Kontaktstörungen als solche zu erkennen und zu erleben, die ihn daran hindern, mit seiner Umwelt in einen befriedigenden Austausch zu treten. Über die Reaktivierung emotionaler Bedürfnisse und der Wahrnehmung derselben soll es dem Klienten ermöglicht werden, seine Kontaktstörung zu überwinden.

Bewusstheit bzw. Gewahrsein kann sowohl eine absichtslose, aktive, innere Haltung der Aufmerksamkeit/Achtsamkeit, als auch eine mehr gerichtete Form der Aufmerksamkeit/Achtsamkeit bezeichnen, und sich auf alle Phänomene der Wahrnehmung und des Erlebens richten. Daraus folgt eines der wichtigsten Arbeitsprinzipien der Gestalttherapie, das Prinzip des Hier-und-Jetzt: Die gegenwärtige Situation, auch die zwischen Klient und Therapeut, wird als der entscheidende “Ort” betrachtet, wo Veränderung geschieht. Vergangenheit und Zukunft kommen auch in dieser gegenwärtigen Situation ins Spiel: z.B. als Erinnerung oder als Planung. Methodisch geschieht die Förderung des Gewahrseins u.a. durch die direkte Rückmeldung des Therapeuten oder durch den Einsatz von Übungen, oder von Experimenten, die aus der konkreten Therapiesituation heraus entwickelt werden.

Das dialogische Prinzip

Durch die direkte und konkrete Arbeit an aktuellen Situationen und an der Beziehung zwischen Klient und Therapeut soll der Kontakt des Patienten zu sich selbst und zu seiner Umwelt gefördert und unterstützt, und bestehende Kontaktstörungen überwunden werden. Auf diese Weise werden die Selbstheilungskräfte des Patienten freigelegt und neue Einsichten, Erfahrungen und Verhaltensmöglichkeiten erschlossen. Die Gestalttherapie betrachtet die Selbstheilungskräfte als Teil der organismischen Selbstregulation, also der Fähigkeit des Organismus, sich in seiner Umgebung zu erhalten. Durch verschiedene Übungen und methodische Grundhaltungen soll die Selbstregulation gefördert werden.

Die therapeutische Beziehung in der Gestalttherapie – verstanden als Dialogische Gestalttherapie – orientiert sich an den Grundsätzen der existentiellen Beziehungsphilosophie Martin Bubers, der “dialogischen Haltung”. Buber unterscheidet zwischen dem Handeln aus einer sog. Ich-Es-Haltung (“sachlich”, auf ein Objekt bezogen, auch wenn das Gegenüber ein Mensch ist), und dem Handeln aus einer sog. Ich-Du-Haltung heraus, einer Hinwendung zum anderen Menschen auf gleicher Ebene, bei der die Person in ihrer Einzigartigkeit wertgeschätzt wird, ohne einen Zweck zu verfolgen. Beide Haltungen stehen in einem Wechselverhältnis zueinander, und werden je nach Erfordernis der Situation gewählt. Diese Haltung, in der die Therapiesituation als eine besondere Begegnung im Sinne Bubers verstanden wird, die ein hohes Maß an Authentizität und Wahrhaftigkeit erfordert, ist grundlegend für die Gestalttherapie.

Kontaktfunktionen

Zu den sogenannten Kontaktfunktionen gehören Projektion, Introjektion, Retroflektion, Konfluenz und Deflektion. Sie werden auch als “Kontaktstörungen”, oder als “Kontaktunterbrechungen” begriffen. Entgegen einem häufigen Missverständnis haben sie zwei Seiten, eine eher störungsschaffende und eine “normale”, die u.a. zumindest zeitweise Problemlösungscharakter besitzt, oder schlichtweg Teil der organismischen Selbstregulierung ist. Die gegenwärtige Gestalttherapie spricht daher in der Regel von “Kontaktfunktionen”.

Konfluenz (“Zusammenfluss” – manchmal werden auch die Begriffe »Verstrickung« oder »Verschmelzung« gebraucht), als ein Beispiel, bezeichnet in der Gestalttherapie die fehlenden Kontaktgrenzen gegenüber der Umwelt. Die Differenz zwischen Subjekt und Objekt werden negiert. Wer sich immer nach den Erwartungen anderer richtet, jeden Konflikt vermeidet, Harmonie und Nähe um jeden Preis herstellen will, ist »konfluent«. Er grenzt sich nicht von anderen ab. Die Kontaktfunktion der Aggression fehlt wie bei der Deflektion. Aber das Mittel der Konfliktvermeidung ist Gleichklang mit der Umgebung (also nicht Ausweichen), »Schwimmen mit dem Strom«.

Schwerer zu erkennen ist die gegenteilige Form der Konfluenz, die sich als (scheinbare) Abgrenzung darstellt. Das »Dagegensein um des Dagegenseins Willen« ist nämlich keine wirkliche Grenzziehung im gestalttherapeutischen Sinne. Denn der Handelnde handelt immer in starrer Abhängigkeit von der Umwelt, nur nicht im Gleichklang, sondern im Widerspruch. Damit aber verharrt er in Abhängigkeit und handelt nicht autonom. Beschreibung bei Perls, Hefferline, Goodman: »Konfluenz ist der Zustand der Kontaktlosigkeit (ohne Grenze des Selbst)«.

Erst seit kurzer Zeit wird Konfluenz in der Gestalttherapie auch als positive Erscheinung betrachtet, die die Basis für Empathie (in der Folge auch gemeinschaftliche Kreativität) ist oder sein könnte. Pathologische Konfluenz wird dann als negative Erscheinung eines grundsätzlich positiven Strebens angesehen und behandelt, indem die negativen Auswirkungen von Konfluenz analysiert werden und die gleichen Kräfte zugunsten eines positiven Strebens anzuwenden erlernt wird.

Ganzheit, Feld, Prozess

Der ganzheitliche Ansatz der Gestalttherapie besteht nicht nur darin, den Menschen (als Organismus) als untrennbare Einheit von Körper, Geist und Seele zu betrachten, sondern er bezieht sich auch auf die Ganzheit des Organismus im Feld; d.h. daß das Individuum nie isoliert von seiner Umgebung gesehen und verstanden werden kann. Die Gestalttherapie spricht hier vom “Organismus-Umwelt-Feld” als grundlegender Kategorie.

Zwischen Organismus und Umwelt befindet sich die “Kontaktgrenze”, die sowohl trennt als auch verbindet. Genaugenommen bewegt sie sich im konkreten Kontakt des Organismus mit der Umwelt. Kontakt und Kontaktgrenze sind Prozesse, mit denen der Organismus, d.h. der einzelne Mensch, im Austausch mit der Umwelt sich erhält, Neues assimiliert und wächst. Im Kontakt fließen Bewußtheit/Gewahrsein, Bewegung, Handeln, Denken, Fühlen etc. zusammen zur Orientierung im Feld.

Auch das “Selbst” wird in der Gestalttherapie als umfassender Prozeß verstanden. Perls, Hefferline und Goodman definieren es als “das System der ständig neuen Kontakte”. Das “Ich” stellt dabei nur eine Teilfunktion des “Selbst” dar: es unterscheidet zwischen “zu mir gehörend” und “fremd”. Damit hebt sich die Gestalttherapie grundlegend von der Psychoanalyse ab, die die Psyche eher als einen “Apparat” begreift, mit dinghaften Einzelteilen.

Geschichte

Die Geschichte der Gestaltherapie beginnt im Grunde 1941 in Südafrika, als Fritz und Lore Perls gemeinsam an dem Buch “Das Ich, der Hunger und die Aggression” arbeiteten. Beide betrachteten sich damals noch als Psychonanalytiker, allerdings als “Revisionisten”.

Von “Gestalttherapie” kann man seit dem Erscheinen des gleichnamigen Buches (Fritz Perls und Paul Goodman gemeinsam mit Ralph F. Hefferline) 1951 sprechen. Innerhalb der Gestalttherapie haben sich nach der Gründungsphase in den USA und davon ausgehend in Europa unterschiedliche Varianten, Strömungen und Stile herausgebildet. Dazu hat zunächst einmal die theoretisch und praktisch sehr vielgestaltige und wenig kanonisierte Hinterlassenschaft der Gründungsphase wesentlich beigetragen. Die unterschiedliche therapeutische Arbeitsweise von Fritz Perls auf der einen und Laura Perls auf der anderen Seite kam in der Folge hinzu. Fritz Perls verließ seine Frau Laura und zog an die Westküste der USA, während Laura ihre therapeutische Arbeit an der Ostküste fortsetzte. Fritz Perls entwickelte einen auf den ersten Blick eher harten, oft konfrontativen, “Westküstenstil”, während Laura Perls einen deutlich weicheren und integrativen “Ostküstenstil” der Gestalttherapie praktizierte.

In der Geschichte der Gestalttherapie war es besonders Barry Stevens, die sich dem Körper-Aspekt des Organismus widmete, und die ihre eigene Form gestalttherapeutischer Körperarbeit entwickelte.

In Deutschland wurde die Gestalttherapie unter anderem durch Gerhard Heik Portele (Integratives Gestaltinstitut Würzburg) sowie durch Hilarion Petzold (Fritz Perls Institut) bekannt. Die Gestalttherapie hat verschiedene Einflüsse auf andere Therapieformen genommen, insbesondere auf die körperorientierten sowie auf die tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieverfahren. Heute wird die Gestalttherapie neben niedergelassenen Therapeuten vor allem auch in Kliniken angewendet und weiterentwickelt. Gestalttherapie gehört derzeit zu den in Deutschland nicht abrechenbaren Therapieformen. Das Psychotherapeutengesetz, das im Jahre 2000 wirksam wurde, erkennt ausschließlich die Psychoanalyse, die tiefenpsychologisch fundierte sowie die Verhaltenstherapie an. Die humanistischen Verfahren wie Gestalt- oder Gesprächstherapie kämpfen seitdem um ihre rechtliche Anerkennung. Ihre Wirksamkeit ist nach Klaus Grawe denen der anderen Therapieformen mit Ausnahme der Verhaltenstherapie ähnlich.

Richtungen

Heute finden sich in der Gestalttherapie Ausrichtungen, die den Schwerpunkt vorwiegend auf die Erlebnisaktivierung und damit einhergehende kathartische Erlebnisse setzen, neben anderen, für die die geduldige Entwicklung der therapeutischen Beziehung und der Beziehungsfähigkeit des Patienten im Mittelpunkt steht. Eine Unterteilung in unterschiedliche “Schulen” ist allerdings nicht erkennbar – heute noch weniger als etwa in den 70er Jahren. Eine völlig eigenständige Entwicklung stellt daneben die von Hans-Jürgen Walter begründete Gestalttheoretische Psychotherapie dar, die sich unmittelbar auf die Gestaltpsychologie bzw. Gestalttheorie stützt. Ebenfalls zu nennen ist die von Hilarion Petzold begründete Integrative Therapie, die die Gestalttherapie stark miteinbezieht, aber nur als einen von mehreren therapeutischen Ansätzen.

Wirksamkeit

In einer Fülle von Einzeluntersuchungen (Experimentelle & Statistische Studien, Fallstudien u.a.) wurde die Wirksamkeit unterschiedlicher psychotherapeutischer Verfahren überprüft. Hier ist insbesondere Klaus Grawe zu nennen, der den verhaltenstherapeutischen/kognitiven Therapieformen eine signifikant höhere Wirksamkeit zugesprochen hat.

Allerdings ist die Debatte nicht als beendet zu betrachten. Vielen der großen Meta-Analysen zur Wirksamkeit von Psychotherapie zufolge steht die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer, psychodynamisch/psychoanalytischer und humanistischer/gesprächspsychotherapeutischer Verfahren bei einer Vielzahl von psychischen Störungen inzwischen außer Frage.

Gestalttherapie

In der Wirksamkeitsforschung der Gestalttherapie sind die Studien von Willi Butollo und Leslie S. Greenberg zu nennen. Greenbergs Untersuchungen bezogen sich auf einzelne Techniken und deren Effektivität, Butollo untersuchte die Wirksamkeit der Gestalttherapie bei Angststörungen. Beide kommen zu dem Schluss, das die Gestalttherapie eine hohe Effizienz aufweise.

Eine Übersicht über den Forschungsstand der Gestalttherapie legt Strümpfel (2006) vor. Die Systematisierung dokumentiert 432 empirischen Arbeiten, von Einzelfalldarstellungen und -analysen bis zu kompletten Studien. Inhaltlich dargestellt werden 113 veröffentlichte wissenschaftlichen Studien, die über Einzelfallanalysen hinausgehen, sowie eine weitere Anzahl unveröffentlichter Arbeiten wie Dissertationen und Forschungsberichte. In die klinisch relevanten Wirksamkeitsuntersuchungen gehen die Daten von insgesamt mehr als 4500 Personen ein. Dokumentiert wird die Wirksamkeit von Gestalttherapie bei verschiedenen, auch schweren psychischen Störungsbildern, wie sie sich bei psychiatrischen Patienten z.B. mit der Diagnose Schizophrenie findet, aber auch bei weiter verbreiteten Problemen wie depressiven, Angst-, Abhängigkeits- und psychosomatischen Störungen. Studien, in denen Gestalttherapie mit kognitiver Verhaltenstherapie verglichen wird, zeigen vergleichbare Verbesserungen unter beiden Behandlungen für die untersuchten Gruppen für die meisten Symptome, aber stärkere positive Effekte unter Gestalttherapie für die sozialen Kompetenzen der Patienten, insbesondere was die Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten betrifft.

Literatur

  • Albrecht Boeckh: “Die Gestalttherapie. Eine praktische Orientierungshilfe”. Kreuz-Verlag, Stuttgart 2006
  • Erhard Doubrawa u. Stefan Blankertz: “Einladung zur Gestalttherapie. Eine Einführung mit Beispielen”. Hammer, Wuppertal (4) 2005
  • Erhard Doubrawa: “Die Seele berühren. Erzählte Gestalttherapie”. Hammer, Wuppertal (2) 2004
  • Bruno-Paul de Roeck: “Gras unter meinen Füssen. Eine ungewöhnliche Einführung in die Gestalttherapie”. Rowohlt
  • Reinhard Fuhr u.a. (Hrsg.): “Handbuch der Gestalttherapie”. Hogrefe, Göttingen 1999
  • John O. Stevens: “Die Kunst der Wahrnehmung. Übungen der Gestalt-Therapie”. GTB, Gütersloh (17) 2006

Weblinks

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