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Morphogenetisches Feld

Als morphisches Feld (engl. „morphic field“) oder morphogenetisches Feld bezeichnete der britische Biologe Rupert Sheldrake in einem seiner Bücher (“A New Science of Life”) ein nicht näher definiertes hypothetisches biologisches (und potentiell gesellschaftliches) Feld, das als „formbildende Verursachung“ verantwortlich sein könnte für die Entwicklung von Strukturen. Der allgemeine Charakter der Hypothese wurde als pseudowissenschaftlich kritisiert, teilweise von Vertretern der Sozialwissenschaften und Gestalttherapie ernsthaft diskutiert, von der großen Mehrheit der Naturwissenschaftler aber abgelehnt bzw. ignoriert.

Bereits 1958 hatte der Chemiker und Philosoph Michael Polanyi in seinem Buch “Personal Knowledge: Towards a Post-Critical Philosophy” ein sehr ähnliches Konzept entwickelt, das er ebenfalls als Morphogenetisches Feld bezeichnet hatte. Der Begriff „Morphogenese“ stammt von den griechischen Wörtern “morphe” (Form) und “genesis” (Entstehen, Werden). Der in der Entwicklungsbiologie verwendete Begriff morphogenetisches Feld ist nicht identisch mit den von Sheldrake angenommenen Feldern.

Morphogenetisches Feld: Ausgangspunkt

Rupert Sheldrake (* 1942) ist in Pflanzenphysiologie an der Universität Cambridge und in Philosophie an der Universität Harvard ausgebildet. Er interessierte sich dafür, wie Pflanzen und auch alle anderen Lebewesen ihre Form erhielten. Eine einzelne Zelle spaltet sich in anfangs identische Kopien, die mit jeder weiteren Zellteilung spezifische Eigenschaften annehmen; einige Zellen werden zu Blättern, andere zu Stängeln. Sobald diese Veränderungen stattgefunden haben, gibt es keinen Rückweg mehr. Beispielsweise können Blätter nicht wieder zu Stängeln werden.

Noch in den 1920ern hat man angenommen, dass die Regulation der Entwicklung eines Embryos (siehe Driesch) sowie die Gliedmaßenregeneration die Existenz eines unbekannten „morphogenetisches Feld“ impliziere. Die spätere Entdeckung der DNA, die Bestandteile des Organismus „kodiert“, schien eine Erklärung anzubieten. Andererseits weiß man, dass die DNA in nahezu allen Zellen des Organismus identisch ist. Somit blieb die Entstehung der Gestalt eines Organismus unklar. Man musste ja erklären, wie die Zellen, welche die gleiche DNA besitzen, in der Lage sind, zu verschiedenen Körperteilen beizutragen und sich auszudifferenzieren. Man vermutete zwar schon, dass die Informationen für die Entwicklung der Gestalt in der DNA codiert waren, aber die bei der Entwicklung ablaufenden Prozesse blieben unbekannt. Zu Beginn der 1990er Jahre fand Christiane Nüsslein-Volhard Morphogene, die sie für Musterbildung verantwortlich machte, und klärte ihre Funktion.

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Morphogenetisches Feld: Theorie

Sheldrake entwickelte eine andere Theorie, um dieses Problem zu erklären. Darin wird die Existenz eines universellen Feldes postuliert, welches das „Grundmuster“ eines biologischen Systems kodieren soll. Er nahm zunächst bezug auf den vorherigen Begriff des morphogenetischen bzw. Entwicklungs-Feldes, den er im Rahmen seiner Hypothese umformulierte, erweiterte und letztlich neu formulierte.

Nach Sheldrakes Ansicht ist die Existenz einer Form schon ausreichend dafür, dass es für diese Form leichter sei, an irgendeinem anderen Ort zu existieren. Dies nannte Sheldrake 1973 ein “morphisches Feld”, später auch “Gedächtnis der Natur”; nach dieser Sichtweise bestünde die Natur möglicherweise nicht nur aus Naturgesetzen, sondern auch aus Gewohnheiten.

Im Unterschied zum elektromagnetischen Feld als „energetischem Typus der Verursachung“ soll dieses Feld keine Energie zur Verfügung stellen. Die Hypothese eines morphischen Feldes dient als Erklärungsmodell für das genaue Aussehen eines Lebewesens (als Teil seiner Epigenetik) und sollte am Verhalten und der Koordination mit anderen Wesen beteiligt sein.
Dieses morphogenetische Feld soll eine Kraft zur Verfügung stellen, welche die Entwicklung eines Organismus steuert, so dass er eine Form annimmt, die anderen Exemplaren seiner Spezies ähnelt. Ein Rückkoppelungsmechanismus namens “morphische Resonanz” soll sowohl zu Veränderungen an diesem Muster führen als auch erklären, warum etwa Menschen während ihrer Entwicklung die spezifische Form ihrer Art annehmen.

Morphogenetisches Feld: Begründungen

Eines von Sheldrakes Beweismitteln war die Arbeit des Forschers William McDougall von der Harvard Universität, der in den 1920er Jahren die Fähigkeit von Ratten untersucht hatte, aus Labyrinthen herauszufinden. Er hatte herausgefunden, dass Ratten, nachdem andere vor Ihnen das Labyrinth gelernt hatten, schneller hindurch fanden; zuerst brauchten die Ratten 165 Fehlversuche, bevor sie jedes Mal ohne Fehler durch das Labyrinth fanden, aber nach einigen Generationen waren es nur noch 20 Fehlversuche. McDougall glaubte, dass der Grund dafür in einer Art von Lamarckschem Evolutionsprozess lag. Sheldrake hingegen sah darin den Beweis für die Existenz eines Feldes. Die Ratten, welche das Labyrinth zuerst durchliefen, schufen nach seiner Ansicht ein Lernmuster innerhalb eines „Rattenfeldes“, auf das die Nachkommen dieser Ratten zurückgreifen konnten, auch wenn sie nicht verwandt waren.

Ein anderes Beispiel kam aus der Chemie, in der sich ein anderes noch ungeklärtes „Lernverhalten“ bei der Züchtung von Kristallen abspielte. Wenn eine neue chemische Verbindung erstmals hergestellt wird, geht der Kristallisationsprozess langsam vonstatten; wenn andere Forscher das Experiment wiederholen, stellen sie fest, dass der Prozess schneller abläuft. Chemiker schreiben dies der gestiegenen Qualität späterer Experimente zu; die Fehler der früheren Versuche waren schon dokumentiert und wurden nicht erneut begangen. Sheldrake hingegen glaubte, dass dies ein weiteres Beispiel für ein morphogenetisches Feld sei; die Kristalle, die bei den ersten Versuchen gezüchtet worden waren, hätten ein Feld erschaffen, auf das die Kristalle der später durchgeführten Experimente zurückgegriffen hätten.

Seit damals wurde eine Reihe von anderen Beispielen hinzugefügt; sowohl das Verhalten von Affen in Japan beim Putzen ihrer Nahrung als auch die Fähigkeit von europäischen Vögeln, zu lernen, wie man Milchflaschen öffnet, wurden als Beispiele einer „nichtlokalen“ Kraft bei Verhalten und Lernfähigkeit angeboten.

Nachdem Sheldrake in den 1970ern über diese Theorie gesprochen hatte und damit einigermaßen bekannt geworden war, fand die „große Enthüllung“ 1981 statt, als seine Theorie in Buchform unter dem Titel “A New Science of Life” veröffentlicht wurde (deutsch: „Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes“).

Morphogenetisches Feld: Termiten-Experiment

Ein morphogenetisches Feld wurde von Sheldrake postuliert, um die Ganzheitlichkeit selbstorganisierender Systeme zu erklären. Er leitet aus seinen Beobachtungen ab, dass man diese nicht allein aus der Summe ihrer Bestandteile heraus oder aus deren Wechselwirkungen erklären kann. Das von Sheldrake genannte Gedankenmodell über morphogenetisches Feld, dass Formen von selbstorganisierenden Systemen durch morphische Felder ausgeprägt werden, ordnet demnach Atome, Moleküle, Kristalle, Zellen, Gewebe, Organe, Organismen, soziale Gemeinschaften, Ökosysteme, Planetensysteme, Sonnensysteme und Galaxien. Mit anderen Worten, sie ordnen Systeme auf allen Stufen der Komplexität und sind die Grundlage für die Ganzheit, die wir in der Natur beobachten, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Dies ist eine erste, vereinfachte Definition für morphogenetisches Feld.

Als populärwissenschaftlichen Aufhänger seiner Theorien verwendet Sheldrake häufig Hinweise auf ein angebliches Experiment, das der südafrikanische Naturforscher Eugéne Marais in den 1920er Jahren durchgeführt haben soll: In einen Termitenbau wird ein durchgehender, senkrechter Spalt von mehreren Zentimetern Breite geschlagen, danach wird in dessen Mitte eine über die Ränder hinausragende Stahlplatte fixiert, so dass die beiden Hälften des Baus voneinander getrennt, die Schnittflächen aber noch offen sind. Dies habe nun nicht verhindern können, dass die Termiten auf beiden Seiten der Platte bei der Reparatur des Schnittes ähnliche Bögen errichten, die sich – wäre die Platte nicht – exakt treffen würden. Marais berichtet in seiner Schrift “The Soul of the White Ant” zwar über diese angebliche Beobachtung, macht aber keinerlei spezifische Angaben etwa über die Breite des Schnittes etc. Detaillierte Angaben, wie exakt sich die Konstruktionen tatsächlich treffen, liegen jedoch nicht vor.

Eine weitere Beobachtung Marais’, auf die Sheldrake häufiger rekurriert, nämlich das Einstellen jeglicher Tätigkeit des Termitenvolkes beim Tod der Königin, ist in der Tat nachweisbar. Die Wissenschaft führt dies heute in der Regel auf (messbare) Pheromonausscheidungen der Königin zurück.

Sheldrakes Kernaussage über das morphogenetisches Feld, in der er einige Ideen Marais aufgreift, ist die, dass es einen übergeordneten Plan geben müsse, nach dem die Termiten konstruieren. Da dieser Plan nicht in der kleinen Termite selbst sein könne, müsse er außerhalb zu suchen sein. Kritiker wenden dazu ein, dass Marais wie Sheldrake das “Prinzip der bedingten Wahrscheinlichkeiten” übersähen: Kleine Änderungen, die nach bestimmten Regeln verlaufen, führen in ihrer Addition zu einer hohen Komplexität, ohne dass ein Gesamtplan überhaupt vorliegen müsse.

Morphogenetisches Feld: Bewertung

Sheldrakes Annahme der morphischen Felder wird teils als Pseudowissenschaft eingestuft, weil wesentliche Anforderungen der Wissenschaftlichkeit (Kriterien zur Falsifizierbarkeit, Verifizierbarkeit der Experimente) nicht eingehalten werden. Die Felder können derzeit nur als Hypothese bezeichnet werden, aus der jedoch keine naturwissenschaftliche Theorie hervorgegangen ist. Diverse Forschergruppen beschäftigen sich dagegen ernsthaft mit der Theorie.

Die Schlußfolgerungen werden wiederum von Kritikern nicht als Beweise für die Existenz „morphischer Resonanz“ anerkannt, im Unterschied zu Sheldrakes Anhängern. “A New Science of Life” wurde von vielen Wissenschaftlern zurückgewiesen. Sheldrake scheint im Laufe der Zeit zunehmend desillusioniert von der Reaktion aus der Welt der Wissenschaften zu sein, die er, etwa auf seiner Webseite, heute als eine engstirnige Bürokratie bezeichnet.

In der New-Age-Szene jedoch wurde sein Werk berühmt; man fand es wegen seiner „ganzheitlichen“ Weltsicht interessant, und man sah darin ein Beispiel dafür, wie ein „echter Wissenschaftler“ von der Gemeinschaft der Wissenschaftler herabgesetzt wurde. Zuletzt hat sich Sheldrake von seiner Arbeit über morphogenetische Felder entfernt. Er hält es zwar immer noch für die Grundlage seiner Arbeit, aber seine neueren Veröffentlichungen verwenden den Ansatz nicht mehr.

Morphogenetisches Feld: Weitere Arbeit

1994 veröffentlichte Sheldrake “Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten” (1994), in denen unter anderem der Beginn seiner Studie “Der siebte Sinn der Tiere” (1999) enthalten war. Im Jahr 2003 schrieb er in “Der siebte Sinn des Menschen” über eine Wahrnehmung, die von sehr vielen Menschen berichtet wird. Das Buch enthielt ein Experiment, bei dem die Versuchspersonen mit angelegten Augenbinden entscheiden mussten, ob sie von hinter ihnen sitzenden Personen angestarrt würden. Die Entscheidung, ob die hinten sitzende Person gerade die Versuchsperson mit der Augenbinde anschaute oder woanders hin blickte, wurde per Zufall ermittelt (Münzwurf oder Zufallszahlentabelle). Nach einem Signal in Form eines lauten Klickgeräuschs musste die Versuchsperson entscheiden, ob sie gerade angestarrt wurde. Falls die Versuchspersonen falsch geraten hatten und man ihnen das erzählte, rieten sie bei künftigen Versuchen seltener falsch. Nach zehntausenden von Einzelversuchen lag der Punktestand bei 60 Prozent, wenn die Versuchsperson angestarrt “wurde” (also über dem Zufallsergebnis), aber nur bei 50 Prozent, wenn sie “nicht” angestarrt wurde (was dem Zufallsergebnis entspricht). Dieses Ergebnis weist auf einen schwachen Sinn für das angestarrtwerden hin, und auf keine Sinneswahrnehmung dafür, “nicht” angestarrt zu werden. Sheldrake behauptet, diese Experimente seien sehr oft und mit übereinstimmenden Ergebnissen in Schulen in Connecticut und Toronto sowie in einem Wissenschaftsmuseum in Amsterdam wiederholt worden.

Sheldrakes Experimente bleiben auch heutzutage genauso kontrovers wie seine Theorie. Neuerdings bittet er potentielle Experimentatoren, sein Anstarr-Experiment zu erweitern, indem sie einfach nur ein Formular auf seiner Webseite ausfüllen und auf diese Weise ihre Resultate einsenden. Er behauptet, auf diese Weise eine herausragende, breit angelegte Studie zu erhalten, die Menschen aus aller Welt und aus allen Gesellschaftsschichten umfasse. Kritiker weisen Sheldrake darauf hin, dass er auf diese Weise lediglich nutzlose Informationen von Leuten einsammele, die nicht die geringste Ahnung von der Durchführung kontrollierter Experimente haben. Darüber hinaus sei praktisch garantiert, dass auf Grund des Experimentatoreffekts nur erfolgreiche Resultate ausgewählt werden, weil es unwahrscheinlich sei, dass Menschen, die dieses Experiment durchführen, nicht daran glauben, dass es funktioniert.

 

Sheldrake beharrt darauf, dass dieser Skeptizismus gegenüber morphogenetisches Feld nicht vom problematischen Charakter seiner Arbeit herrühre, sondern auf vorgefasste Meinungen zurückgehe, welche die Wissenschaftler ihm gegenüber hätten. Sein fundamentalistischer Ansatz zur wissenschaftlichen Methode basiere auf Darwins sorgfältigen Beobachtungen und entferne ihn von der Molekularbiologie und deren Konzentration auf die Funktionsweise von Genen, Enzymen, Proteinen und Zellen. Sein Ansatz sei eine Herausforderung an das mechanistische Paradigma, das die Biologie als eine Funktion von Chemie und Physik sähe. Der Materialismus des 19. Jahrhunderts habe teilweise zu Gentechnologie und Biotechnologie geführt, sich aber gleichzeitig von einem Verständnis des Bewusstseins entfernt, wonach seine Theorie über Felder strebe.

Kritiker interpretieren den Mangel an Vertrauen in Sheldrakes Theorien zum morphogenetisches Feld als das Ergebnis des Mangels überzeugender, experimenteller Beweise. Seit den 1970er Jahren, in denen Sheldrake seine Theorie erstmals vorgeschlagen hat, wurden außerdem Fortschritte beim Verständnis der Frage gemacht, wie aus genetischem Material bestimmte Form entsteht. Andere Theorien werden daher in diesem Gebiet gegenüber Sheldrakes bevorzugt, da sie die beobachteten Prozesse bei der Musterbildung besser beschreiben.

Seit September 2005 ist Sheldrake Direktor des “Perrott-Warrick-Projekts”, das aus einer dem Trinity College in Cambridge zugute gekommenen Stiftung finanziert wird. Das Projekt untersucht unerklärte Fähigkeiten von Menschen und Tieren.

Morphogenetisches Feld: Literatur

  • Rupert Sheldrake: “Das Gedächtnis der Natur.” Scherz-Verlag 1998
  • Rupert Sheldrake: “Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes.” Ullstein-Verlag 1993

Morphogenetisches Feld: Weblinks

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