Das Tetralemma (…„vier Ecken“ im Sinne von vier Positionen oder Standpunkten) ist ein Struktur aus der traditionellen indischen Logik zur Kategorisierung von Haltungen und Standpunkten. Es wurde im Rechtswesen verwendet zur Kategorisierung der möglichen Standpunkte, die ein Richter in einem Streitfall zwischen zwei Parteien einnehmen kann. Er kann der einen Partei recht geben oder der anderen Partei oder beiden (jede hat recht) oder keiner von beiden. Diese vier Positionen wurden (…) um die Negation des Tetralemma (Die sogenannte vierfache Negation) erweitert.
Das Tetralemma ist ein außerordentlich kraftvolles allgemeines Schema zur Überwindung jeder Erstarrung im schematischen Denken. Er stellt also eine Synthese von schematischem Denken und Querdenken auf höherer Ebene dar. Das Tetralemma und die Tetralemma-Aufstellung wurden von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd entwickelt und verfeinert.
Tetralemma: Die vier Positionen
- Das Eine: Das kann zum Beispiel die Lösung sein, die für den Klienten seine „einzig richtige“ darstellt, die für ihn im Vordergrund steht, oder die er in der Vergangenheit schon immer angewendet hat.
- Das Andere: Das Andere macht die gegenüberliegende Ecke des Tetralemmas aus, es steht gewissermaßen im Gegensatz dazu. Somit steht es im direkten Gegensatz zur „richtigen Lösung“ (siehe 1. „Das Eine“). Und damit ist das Dilemma perfekt! Nach unseren Erfahrungen ist es hilfreich, wenn „das Andere“ eine echte Alternative zum „Einen“ ist. Eine einfache Negation des „Einen“ reicht nicht aus, da sie keine eigene Substanz einbringt.
- Beides: Die dritte Position bringt ein neues Element ins Spiel. Sie lässt sich als erste Metaposition zum alten Dilemma definieren. Von dieser außenstehenden Position kann man beide Positionen gleichzeitig betrachten und die Gemeinsamkeit und Unterschiede bei ihnen entdecken. Damit sieht der Betrachter einen neuen „Frame“, so dass typische Reframings möglich werden. Das spricht auch Matthias Varga von Kibéd unmittelbar an: „dass die Handlungsweise, die Sie jetzt als Fehler ansehen, zu einer Fülle von wichtigen Einsichten, Lernprozessen und Erfahrungen durch Konfrontation mit den Schwierigkeiten, die aus dem Fehler entstanden, geführt hat…..“ Dies ist ein wichtiger Schritt zur Vereinbarkeit der Positionen.
Matthias Varga von Kibéd beschreibt insgesamt 13 Untertypen von „Beides“. Die zentralen davon wollen wir hier zitieren:
- Kompromiss: Von beiden ist ein bisschen richtig („räumliche“ Aufteilung)
- Iteration: Manchmal ist das eine richtig, ein andermal das andere ( sequentielle Lösung)
- Scheingegensätze (sh.oben: Die Alternative ist gar keine)
- Paradoxe Verbindung: z.B.: „Ständiges Prüfen auf Richtigkeit ist ein Fehler“
- Ressourcentransfer: Das ist im NLP ein wichtiger Bestandteil der Konfliktintegration. Varga von Kibéd nennt es „die Kraft des Nichtgewählten in das Gewählte einfließen lassen“
- Übersummative Verbindung: Dieser „Klassiker“ des systemischen Denkens entspricht den „synergetischen Effekten“ in der Gruppendynamik. Eine solche Verbindung entspricht einer Synthese, die zu einem Konsens zwischen beiden Polen führen kann.
Auch wenn in der Praxis nicht immer alle Untertypen bei Beides im Tetralemma gebraucht werden – sie überschneiden sich ohnehin teilweise – zeigen sie verschiedene Arten der Vereinbarkeit, die sich auf der dritten Position bieten. Wenn man das Dilemma erst einmal verlässt, dann tun sich viele Möglichkeiten auf!
- Keins von Beiden: Während wir in der dritten Position eher noch ein teilnehmender Beobachter waren, der inhaltlich Gemeinsamkeiten und Sinn erforscht, können wir in der vierten Position unseren alten Konflikt mit hinreichender Distanz ganz von außen betrachten. Das ist also eine völlig dissoziierte Metaposition. „Wir sind nicht mehr verwickelt. Wir betrachten diese Position daher auch als externe Kontexterweiterung.“ (a.a.O., S. 85). Es geht nicht mehr nur um Vereinbarkeit, sondern um den Kontext, in dem das Dilemma, der Gegensatz von Richtig und Falsch, entstanden ist. Das gibt dem Ganzen eine neue Dimension und unter Umständen einen neuen Sinn. Mit Dilts` Variante des Meta Mirrors können wir erkennen, wo in der dritten Position noch Interaktions- oder Interpretationsmuster aus dem alten Dilemma übernommen werden und auch diese auflösen.
- Die Fünfte: „Die „fünfte Position“ erreichen wir über die Negation des Tetralemma. Varga von Kibéd dazu: „Diese Position nennen wir All dies nicht – und selbst das Nicht! Da sie den Aufforderungscharakter hat, Muster immer wieder zu unterbrechen, schreiben wir sie mit „!“, und da sie sich auch selbst in diese paradoxe Aufforderung mit einbezieht, lassen wir eine deutliche Sprechpause bei „-“ eintreten…Das Wort „dies“…bezieht sich auf die ersten vier Positionen und auf die Einsicht, dass keine dieser Positionen einen alle Aspekte des Problems unfassenden Standpunkt darstellte. Mit und selbst das nicht erinnert uns die fünfte Position daran, dass auch sie kein endgültiger Standpunkt ist. Sie hebt daher sich selbst auf (und wurde von den Buddhisten als ein Nichtstandpunkt bezeichnet).“
Literatur zum Tetralemma
- Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer: „Ganz im Gegenteil – Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellung für Querdenker und solche, die es werden wollen“. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 2003
Quelle: Claus Blickhan