Ja, auch ich habe das in meiner Anfangszeit bei Aufstellungen miterlebt. Als Teilnehmer. Da sass da vorne der Aufstellungsleiter, die Aufstellung lief. Und irgendwann gab es dann Rückgabe-Rituale oder Interaktionen zwischen Stellvertretern. Bei denen der Aufstellungsleiter eingriff. Und Sätze vorgab. Nachplappern ließ. Diese Vorgaben absolut setzte, so nach dem “Wenn-Dann”-Prinzip. Und auch Aufstellungen abbrach, wenn er selbst zu ungeduldig wurde. Unschön und meistens für denjenigen, um den es ging, retraumatisierend. Und mit vielen Fragezeichen über dem Kopf einfach stehen gelassen.
Ich selbst gehe davon aus, dass jemand, der ein Thema aufstellen möchte, seine Geschichte wesentlich besser kennt, als ich, der seinen Prozess begleitet. Und auch in den meisten Fällen besser weiß, was ihm gut tut, was passt und was Sinn macht. Ihn deshalb mit Absolutheit dazu zu zwingen, etwas zu sagen, was eigentlich nicht passt?
Nachplappern ist vertane Lebenszeit
Die Sätze und Annahmen, die mir während einer Aufstellung in den Sinn kommen, sind in meinem Kopf. Aufgrund der Situation, meiner Lebenserfahrung oder meiner generellen Erfahrung in der Aufstellungsarbeit. Aber – sie sind in meinem Kopf. Und müssen deshalb nicht für andere Menschen passen. Aus dieser Grundannahme heraus ist es für alle Seiten entlastender, wenn diese Sätze und Interventionen als Angebot formuliert werden. Mit absoluter Freiwilligkeit, ob das Angebot angenommen wird. Oder eben nicht. Damit behalten die Stellvertreter ihre Eigen-Mächtigkeit und Würde.
Und kommen vielleicht über Umwege auch zum Ziel. Meine Geschwindigkeit und “Erkenntnis” muss nicht ihre sein. Und meine Ungeduld gehört auch nur mir. Und mit der muss ich umgehen lernen, damit ich das Tempo meiner Gäste nicht störe. Denn jeder Mensch hat seine Geschwindigkeit und seinen Prozess. Den ihm niemand abnehmen kann. Auch wenn er dadurch eventuell etwas länger dauert. Und genau darum geht es im Coaching, in der Therapie und auch in der Aufstellungsarbeit – andere Menschen in ihrem Prozess zu begleiten. Geduldig sein, abwarten können und die Geschwindigkeit des anderen immer zu würdigen. Damit er seine eigenen Schritte gehen kann. In Würde.